Der Biber
Segen oder Fluch

Allenthalben hört man wahre Lobeshymnen auf die wieder eingebürgerten und sich rasant vermehrenden Biber. Wahre Wundertaten sollen die agilen Baumeister vollbringen. Völlig neue, artenreiche Lebensräume sollen sie erschaffen, wird erzählt. Richtig, der Biber schafft neue, andersartige Biotope. Das stellt allerdings nur einen Teil der Wahrheit dar. Die Medaille hat nämlich auch eine Rückseite, ganz besonders für die kleinen und kleinsten Bäche der Mittelgebirge, wie etwa das System der Lohr im Spessart. Niemanden in der Öffentlichkeit scheint wahrzunehmen, dass die Biber in ein völlig komplettes, florierendes Biotop „fließender Bach“, mit allem was an Tier und Pflanzenarten dazu gehört, vordringen und es irreversibel verändern. Ungezählte Arten der Mikro und Makro Fauna und Flora, unter ihnen einige hoch gefährdete Spezies, besiedeln diesen Lebensraum. Die allermeisten Arten sind an mehr oder weniger stark strömendes Wasser angepasst und daher besonders empfindlich gegenüber Störungen in ihrer Umgebung. Das Biotop „fließender Bach“, wie das der Lohr und ihrer Seitenbäche, weist eine nahezu unermessliche Vielfalt von Nischen auf verschiedenen Größenskalen auf. Rasch wechselnde und vielfältige Bachstrukturen, Geröll, Sand, Blätter von Bäumen, Totholz, unterspülte Ufer, Überflutungstümpel, Seitengräben, Schotter und Sand am Bachgrund tragen zu einer überreichen Struktur der Lebensräume der Bäche bei. Es ist also kein Wunder, dass in diesem Biotop eine große Zahl an unterschiedlichsten Tier und Pflanzenarten heimisch ist. Besonders wertvoll am lebendigen Fließgewässer in Bezug auf die Biodiversität ist das sogenannte Interstitial am Grund der Bäche. In diesen strömungs geschützten aber gut mit Sauerstoff versorgten Hohlräumen zwischen der den Grund bedeckenden Kies und Geröllschicht finden Laich, Fischbrut von gefährdeten Arten wie Forelle und Äsche, Larven von Insekten, beispielsweise von Eintagsfliegen, Köcherfliegen und Steinfliegen, sowie zahlloser anderer Wirbellosen Arten ihre Heimat. Das Interstitial ein Lebensraum, der einzigartig, unverzichtbar und in seiner Bedeutung für die Bäche kaum überschätzt werden kann. Bachneunaugen und Mühlkoppen kommen in den naturnahen Fließgewässern in großer Zahl vor. Vertreter der Aqua Flora wie Wasserstern und flutender Hahnenfuß bieten Schutz und Nahrung für eine Vielzahl von höheren und niederen Tierarten , die alle eines gemeinsam haben: sie benötigen frisches, sauerstoffreiches fließendes Wasser. Die Uferrandstreifen werden besiedelt, neben anderen, mit einer Gemeinschaft aus Mädesüß, Sumpfziest und Blutweiderich. Die an die Bäche angrenzenden Wiesenflächen besitzen den Charakter eines nahrungsarmen, semiariden Trockenrasens wo unter anderem das gefleckte Knabenkraut, die Schachblume, beide Arten auf der roten Liste, und der Wiesenknopf wachsen, oft vergesellschaftet mit dem Knöterich. Ganz anders in den vom Biber besetzten Abschnitten der Spessartbäche, an deren Oberläufen sich Biberdamm an Biberdamm reiht. Das von den Dämmen angestaute Wasser überflutet die Ufer und Wiesen zu beiden Seiten der Bachläufe und verändert deren Charakter nachhaltig und verhindern eine naturnahe Bewirtschaftung der Flächen. Bäume und Büsche sterben an Sauerstoffmangel, Ufer und Wiesenvegetation verrotten wegen der Staunässe. Aufgrund der fehlenden Strömung setzt sich Schlamm ab und versiegelt Kiesbänke und Interstitial. Ungezählte strömungsliebende Arten wandern ab oder kommen um. Den Kieslaichern werden die Laichgebiete genommen und Wanderfischen der Weg versperrt. Aus dem lebendigen, vielschichtigen Biotop „fließender Bach“ wird langsam eine schlammige Sumpflandschaft. Leitarten der Spessartbäche, wie Forelle, Äsche, Bachneunauge, Mühlkoppe, Flussperlmuschel, Schmerle, Eintagsfliegen Arten, Mädesüß im Uferrandstreifen sowie der flutende Hahnenfuß und viele Wiesenpflanzen verschwinden wenn die Bäche in ihrem Lauf durch zahlreiche Biberdämme aufgestaut werden und ihre Strömung verlieren. Eine dramatische Verarmung der bisherigen Artenvielfalt ist zu beklagen. Übrig bleiben in den Biberstauen einige wenige genügsame Arten, die mit Sauerstoffmangel und hohen Wassertemperaturen zurecht kommen. Unterschiedlicher können Lebensbedingungen nicht sein. Seit einigen Jahren sieht sich die HFG der Lohr, welche über Jahrzehnte die Erhaltung und die Pflege der Artenvielfalt in ihren Gewässern betrieben hat, mit einer ungezügelten Vermehrung und Ausbreitung der Biberpopulation an den Spessartbächen konfrontiert. Angesichts der tiefgreifenden und, was die bestehende Biotopstruktur und Artenvielfalt anbelangt, äußerst nachteiligen Aktivitäten des Bibers in den Kleingewässern stellt sich zwangsläufig die Frage nach den Prioritäten, so der Biologe Dr. Klaus Bauer, der die Entwicklung an den Spessartbächen über eine lange Zeit hinweg intensiv verfolgt hat. Soll der Biber an dem fragilen und äußerst wertvollen Biotop „fließender Bach“ weiterhin uneingeschränkten Schutz und Vorzug vor den ungezählten aber oft unscheinbaren Arten dieses Lebensraumes genießen, oder wäre es nicht besser im Sinne der Erhaltung der wertvollen Bachwelten und ihrer Artenvielfalt, ein wie auch immer geartetes Management der Biberpopulation an solchen Kleingewässern wie der Spessartbäche anzustreben, so dass beide Lebensräume, fließender Bach und Biberstau, koexistieren könnten? Harald Schlundt und Karl Scherer, HFG der Lohr
Besuch von Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel (Mitte) am 22.08.2019. Im Gespräch mit dem 1. Vorstand Harald Schlundt und dem 2. Vorstand Karl Scherer der HFG der Lohr